Bilder sind wesentlicher Bestandteil alltäglichen Lebens in allen gesellschaftlichen Bereichen. Mit der Verbreitung von technisch-aparativen Bildmedien und Massenmedien im 19. und 20. Jahrhundert ist ihre Bedeutung gestiegen. Heute werden Bilder mitunter zum Leitmedium westlicher Kulturen erklärt (vgl. Hoffmann & Rippl 2006), womit impliziert wird, niemand könne sich entziehen. Mit der gängigen Metapher der „Bilderflut“ wird dann Sorge und Faszination zugleich zum Ausdruck gebracht: einmal wird die Allgegenwart von Bildern als Bedrohung und Verdrängung geschätzter Kultur, etwa der Buchkultur, gesehen, ein anderes Mal als Ergänzung und neue Möglichkeiten eröffnende Bereicherung kulturellen Lebens. Bilder sind aber nicht nur Bestandteil in allen Lebensbereichen, sondern zugleich zentraler Aspekt menschlicher Wahrnehmung und Erfahrung sowie sozialer Interaktions- und Kommunikationsprozesse. Sie repräsentieren Vorstellungen über Wirklichkeit und konstruieren Wirklichkeit.

Die Bedeutung von Bildlichkeit für Erkenntnisfragen hat in den 1990er Jahren in den Geisteswissenschaften zu einer ikonischen Wendung bzw. zum pictorial turn (Mitchell 1994, 1997) oder iconic turn (Böhm 1994) geführt. Die ikonische Wendung steht in kritischer Abgrenzung zum linguistik turn (Rorty 1967) und damit zu sprachanalytisch-philosophischen und linguistischen Positionen, die jede Form der Erkenntnis als Problem der Sprache darstellen. Seitdem gewannen Bilder neben Repräsentationen von Wirklichkeit in Form von Texten als Quelle von Erkenntnis zunehmend an Beachtung, so auch in jüngerer Zeit in den Sozial- und Erziehungswissenschaften (vgl. etwa Schiffler & Winkler 1991; Pöggeler 1992; Schäffer 2005, 2009; Gruschka 2005; Wulf & Zierfas 2005; Marotzki & Niesytho 2006; Bohnsack 2008, 2009; Friebertshäuser, v. Felden & Schäffer 2007; Menzen 2008). Eine „Bildabstinenz“ wie sie in groàŸen Teilen der Erziehungswissenschaften im 20. Jahrhundert verbreitet gewesen ist, sei angesichts der zunehmenden Bedeutung von Bildmedien und Mediatisierung der Gesellschaft nicht weiter möglich (vgl. Marotzki & Niesyto 2006, 7). Als zentraler Bestandteil alltäglichen Lebens beeinflussen sie Bildungs-, Erziehungs- und Lernprozesse. Ob nun im Sinne von didaktischer Instrumentalisierung, Aufarbeitung, Reflexion und/oder Nutzung in pädagogischen Zusammenhängen. Oder im Sinne einer impliziten Pädagogik bzw. einer Entgrenzung und Universalisierung des Pädagogischen (vgl. Kade 1989, Kade & Seitter 2007). Umgekehrt materialisieren Bilder Bildungs-, Erziehungs- und Lernprozesse in Form von Abbildern und sind Zeugnisse von Gedanken und Dokumente von Erfahrungen in unterschiedlichen sozial-historischen Zusammenhängen. In diesem Zusammenhang gewinnen Bilder auch Diskursqualität, etwa im Diskurs der Bilder lebenslangen Lernens (vgl. Schäffer 2008).

Der Blick auf Bilder und Bildlichkeit eröffnet vielfältige Perspektiven und Forschungshorizonte in der Erziehungswissenschaft, etwa in Bezug auf Funktionen, die Bilder in Zusammenhängen von Bildung und Erziehung haben, haben sollen und haben können. Oder hinsichtlich einer Ikonographie der Erziehung und Bildung: Inwieweit werden Bildung, Erziehung und Lernen bildlich dargestellt / abgebildet? Inwieweit unterscheiden sich bildliche Darstellungen von begrifflich-theoretischen Verständnissen? Hinsichtlich einer Ikonologie von Bildung und Erziehung kann danach gefragt werden, in welchen zeit- / sozialhistorischen Zusammenhängen bildliche Darstellungen von Bildung, Erziehung und Lernen stehen, was sie zu Ideen, Gedanken und Erfahrungen hinsichtlich von Bildung und Erziehung, zu Bildungs- und Erziehungswirklichkeiten vermitteln können. Und im ikonischen Verständnis kann nach der Eigenlogik bzw. dem Eigensinn von Bildern gefragt werden. Inwieweit dokumentieren Bilder jenseits und diesseits ausdrücklicher Pädagogik, also auch solche, die nicht primär im Zusammenhang von institutionalisierter Pädagogik stehen, Aspekte von Bildung und Erziehung?

Generell ist danach zu fragen, inwieweit Erziehungs- und Lernprozesse sowie damit einhergehende Bildungsprozesse von Bildern durchdrungen sind ”“ und zwar diesseits und jenseits institutionalisierter Formen des Lehrens und Lernens. Dies betrifft sowohl pädagogische Praxis als auch erziehungswissenschaftliche Forschung. Es geht somit um die theoretische und empirische Erkundung des Verhältnisses von Bild, Bildung und Erziehung und um dessen Konstruktion und Konstitution.

In der Schwerpunktausgabe sollen Beiträge versammelt werden, die a) das Verhältnis von Bild, Bildung und/oder Erziehung theoretisch oder empirisch fokussieren. Da die Bildthematik in der empirischen Sozial- und Bildungsforschung gegenüber der Sprach- und Textthematik eher marginalisiert ist, sind insbesondere b) empirisch orientierte Beiträge erwünscht.

Abgabetermin: 1. September 2010

Herausgeber des Schwerpunkts

Dr. phil. Olaf Dörner
Universität der Bundeswehr München
Erwachsenenbildung/Weiterbildung
Werner-Heisenberg-Weg 39
E-Mail: olaf.doerner@unibw.de

Prof. Dr. Burkhard Schäffer
Universität der Bundeswehr München
Erwachsenenbildung/Weiterbildung
Werner-Heisenberg-Weg 39
E-Mail: burkhard.schaeffer@unibw.de

Literatur

  • Bohnsack, R. (2001). "Heidi": Eine exemplarische Bildinterpretation auf der Basis der dokumentarischen Methode, in: Ders.; Nentwig-Gesemann, I. & Nohl, A.-M. (Hg.), Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis: Grundlagen qualitativer Sozialforschung, Opladen: Leske + Budrich, 67-89.
  • Bohnsack, R. (2009). Qualitative Bild- und Videointerpretation: die dokumentarische Methode, Stuttgart: Budrich.
  • Böhm, G. (1994). Was ist ein Bild? München: Fink. Friebertshäuser, B.; Felden, H. v. & Schäffer, B. (2007). Bild und Text : Methoden und Methodologien visueller Sozialforschung in der Erziehungswissenschaft, Opladen: Verlag Barbara Budrich.
  • Gruschka, A. & Walther, V. (2005). Fotografische Erkundungen zur Pädagogik, Wetzlar: Büchse der Pandora.
  • Hoffmann, T. & Rippl, G. (2006). Bilder. Ein (neues) Leitmedium?, Göttingen: Wallstein-Verlag.
  • Kade, J. (1989). Universalisierung und Individualisierung der Erwachsenenbildung. In: Zeitschrift für Pädagogik. Jg. 35, Heft 6, 789-808.
  • Kade, J. & Seitter, W. (2007). Umgang mit Wissen. Recherchen zur Empirie des Pädagogischen. Bd. 1+2. Opladen & F. Hills: B. Budrich.
  • Marotzki, W. & Niesyto, H. (2006). Bildinterpretation und Bildverstehen : methodische Ansätze aus sozialwissenschaftlicher, kunst- und medienpädagogischer Perspektive, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Menzen, K.-H. (2008). Das Bild: in Kunst, Pädagogik und Therapie, Berlin [u.a.]: Lit.
  • Mitchell, W.J.T. (1994). Picture Theory, Chicago, Ill. [u.a.]: Univ. of Chicago Press.
  • Mitchell, W.J.T. (1997). The Pictorial Turn. In: Kravagna, C. (Hg.), Privileg Blick: Kritik der visuellen Kultur, Berlin: Ed. ID-Archiv, 3-34.
  • Schäffer, B. (2005). Erziehungswissenschaft. In: Sachs-Hombach, K. (Hg.), Bildwissenschaft: Disziplinen, Themen, Methoden, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 213-225.
  • Schäffer, B. (2009). Bilder lebenslangen Lernens. Anmerkungen zu einem eigentümlichen Diskurs. In: Hof, C., Ludwig, J. & Zeuner, C. (Hg.): Strukturen Lebenslangen Lernens, Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, 94-111.
  • Schiffler, H. & Winkeler, R. (1991). Bilderwelten der Erziehung. Die Schule im Bild des 19. Jahrhunderts, Weinheim [u.a.]: Juventa-Verlag.
  • Pöggeler, F. (1992). Bild und Bildung: Beiträge zur Grundlegung einer pädagogischen Ikonologie und Ikonographie, Frankfurt am Main [u.a.]: Lang.
  • Rorty, R. (1967). The linguistic turn: recent essays in philosophical method, Chicago [u.a.]: Univ. of Chicago Press.
  • Wulf, C. & Zirfas, J. (2005). Ikonologie des Performativen, München: Fink.